dinsdag 28 september 2010

william forsythe - solo


INTERVIEW MIT WILLIAM FORSYTHE
Bewahre das Nicht-Wissen

Pina Bausch hat zuletzt das immergleiche Stücke weitergeschrieben, ihr Publikum hat sie auch dafür geliebt.

Ja, aber was Pina Bausch einst erfunden hatte, war so radikal, so reich, da kommt keiner nach. Aber ich bin anders als Pina, ich bin ein Textliebhaber, ich liebe die Sprache. Ich bin eher ein Schauspieldirektor.

Dafür haben Sie den Tanz aber gewaltig verändert.

Ich tue, was ich tun muss. Ich spüre diesen Imperativ in mir, dass ich etwas Neues finden muss. Aber der Antrieb kommt auch von den Tänzern. Die Tänzer sagen: okay, das haben wir letztes Mal erforscht Sie wollen eine neue Aufgabe. Sie sind tolle Künstler, so respektiere ich diesen Wunsch.

Ist Tanz für Sie eine Sprache, in der man alles ausdrücken kann?

Oha. Weiß ich nicht. Gerade gestern habe ich einen Bildtitel von Ed Ruscha gelesen: "No End to the Things Made out of Human Talk". Das glaube ich, dass Sprache nicht erschöpft werden kann. Aber nicht alles ist in Worten auszudrücken. Albert Einstein hat gesagt: Nicht alles was zählt, kann gezählt werden. Deswegen wäre es auch ein wenig überheblich zu sagen, dass Tanz alles kann.

Teil meiner Recherche-Arbeit ist es zu fragen: Was kann Tanz? Was tut er? Ein Orchester etwa hat standardisierte Instrumente, das Ballett ist ähnlich standardisiert. Man kann viel damit machen, aber eben nicht alles. Aber ich bin ein sehr neugieriger Mensch. Das ist schlimm.

Was ich meine ist: In jedem Stück sind doch auch Sie selbst. In manchen Stücken sieht man, wenn man durch das Stück in Sie hineinschaut, zerrissene Körper. In anderen Stücken fühlt es sich an, als sei innen Harmonie.

Wirklich? Ich bin ein Überlebender. Und ich musste meinen eigenen Weg zum Körper finden. Das habe ich durch Rudolf Laban getan. Laban war kein Choreograf, er war Theoretiker. Durch seine Theorie habe ich klassischen Tanz anders verstehen können. Meine Absicht ist nicht, die Körper auseinander zu reißen. Wenn man dem System Labans folgt, bekommt man diese komischen Bewegungen, die Sie in meinen Stücken finden.

Meine Frau hat gesagt: Du hast keine Methode, Du suchst nur nach den Methoden von Methoden. Das ist es. Deswegen sehen alle Stücke anders aus, denn ich habe für jedes Stück eine andere Methodik entwickelt. Pina hatte eine klare Methode, aber sie blieb dabei. Ich habe Methoden entwickelt, die alle verwandt waren, aber keine davon war eine Meta-Methode. Das ergibt ein interessantes Leben, einen interessanten Job. Ich habe immer öffentliche Förderung erhalten, da fühlt man Verantwortung in einem größeren Sinn. Ich fühle mich beauftragt, über die Entwicklung der Kultur nachzudenken. Es ist wie Forschungsgeld. Was ist das, Theater, was wollen wir von Theater?

Sie reden offenbar nicht gern über die Affekte, die in Ihren Arbeiten vorkommen.

Affekte sind der selbstverständlichste Teil des ganzen Unternehmens. Das A und O. Was ist nicht affektiv, selbst wenn es schlecht ist? Wenn die Leute unglücklich sind mit dem Stück, dann ist das auch ein Affekt. Ich selbst versuche eine Balance. Aber von allen Kategorien mag ich am liebsten das Verwundertsein, das Erstaunen, das Nicht-ganz-Wissen. Mein Arbeitsmotto ist: Bewahre Dir das Nicht-Wissen. Ein alter buddhistischer Spruch. Keep the don't-know-mind. Meine Vorstellung von perfektem Theater kommt daher. Sie sieht so aus: Wenn ich ins Theater hineingehe, habe ich keine Antworten. Und wenn ich herauskomme, weiß ich noch weniger.

Interview: Peter Michalzik und Sylvia Staude