„Penthesilea“ von Heinrich von Kleist im Deutschen Theater Berlin, Regie Gerardjan Rijnders
Manierliche Veranstaltung
So etepetete klassizistisch wie jetzt bei Gerardjan Rijnders am Deutschen Theater mag es unter L'Arronge in der Berliner Schumannstraße zugegangen sein. Was Anfang des Jahrhunderts war, also eine Weile her. Doch Rijnders, obwohl 1996 mit »Moffenblues« schon einmal an den Kammerspielen tätig, scheint's nicht bemerkt zu haben. Jetzt arrangierte er Heinrich von Kleists Trauerspiel »Penthesilea« den Text entlang, als habe es am Hause weder Brahm und Reinhardt noch W. Langhoff und Brecht gegeben. Und daß Rijnders mit Heiner Müller Bier getrunken hat, scheint Legende zu sein. Sonst hätte er mitbekommen, daß Theater außer mit rezitierter Sprache auch etwas mit sozialen Verhältnissen zu tun hat.
Das Schlachtfeld bei Troja, auf dem Kleist der Amazonenkönigin Penthesilea unerfüllbare romantische Liebe stattfinden läßt, ist bei Rijnders' Bühnenbildner Paul Gallis ein rot ausgeschlagener, ackerfurchiger Bühnenboden, begrenzt vom weißen Rundhorizont und zwei säulenverzierten Portalen. In diesem hell beleuchteten, mit lüsterfarbenem Kronleuchter geschmückten elitären Kunstraum stehen Amazonen wie Griechen meist statuarisch gewichtig herum und bieten den Text feierlich-kunstvoll in markiertem Ton.
Das ist das Problem bei solch hehrem Werk: Holt der Regisseur behutsam wertend mehr oder weniger rauhe Wirklichkeit hinein, oder entrückt er die ohnehin schon abgehobene Dichtung in schön lebensferne, rein poetische Gefilde; in diesem Falle, um den unwahren Eindruck zu erwecken, des Menschen Liebe wie Haß seien lediglich in sich selbst begründet. Als sich Wolfgang Engel 1986 am Staatsschauspiel Dresden für das Stück entschied, erzählte er von tragischer Ohnmacht übermächtiger Liebe unter inhumanen gesellschaftlichen Bedingungen. Er erreichte das, indem er die Figuren nicht primär als Heroen einer antiken Sage vorführte, sondern als gnadenlos in Kriegswirren verstrickte Menschen, gezwängt in Militärmäntel und Knobelbecher. Und weil situativ konkret gehandelt wurde, erblühte Kleists bildhafte Sprache.
Jetzt am Deutschen Theater fällt einigermaßen befremdlich auf, wie oft unprononciert und akustisch unverständlich gesprochen wird. Es fehlen genaue gestische Impulse. Selbst wenn die Darsteller relativ teilnahms- und emotionslos zu rezitieren haben, bleibt der Inhalt dessen, was sie zu sagen hätten, oft hinterm monotonen Aufsage-Ton zurück. Gewiß, Kleists kontemplative Berichte entziehen sich natürlicher Handlung und verleiten zu oratorischem Arrangement und theatraler Gebärde. Wohin der Spielleiter hier tatsächlich gerät, weil er das Werk nicht interpretiert, sondern fein manierlich veranstaltet.
Zu sehen sind weder antike Heroen noch prosaische Kriegerinnen und Krieger, sondern hofträchtig gut betuchte, mal etwas müde, mal etwas aufgeregte Salonhelden. Hier wie da anscheinend saturierte Gesellschaften. Die Amazonen in hellen, langen Abendkleidern, zucker-hütig behelmt; die Herren in edelmännisch-hübschen Mänteln und Kniehosen. Achilles mit geputzt blankem Goldhelm, auch wenn er gerade aus der Schlacht kommt. Der Verzicht auf wüstes Kriegsgetümmel durch geschickte Striche ist ein Gewinn, doch die zu erzählende Geschichte bleibt szenisch ungefähr.
Wenn hin und wieder denn doch so etwas wie eine beredte Situation entsteht, scheinen sich die Schauspieler - dies mein Eindruck - dem Arrangeur zu entziehen. Da blitzt sogar Witz auf, etwa wenn Amazonen gefangene Griechen ungeübt in Liebe umwerben, oder wenn Odysseus (Thomas Neumann) spröde Skepsis spielt.
Petra Hartung als Penthesilea ist vom Typ her keine Aristokratin, sondern wirklich das natürliche, etwas maskuline elementare Weib. Wie sie der Königin erwachende Liebe zu Achilles vorführt, wie sie ihn verliebt mit Rosen schmückt, ist reizvoll anzusehen. Dieser überraschend zarte Flirt zweier ansonsten hartgesottener Krieger berührt. Zumal Daniel Morgenroth als Achilles sensibel vorführt, wie ungläubig-verwundert und doch neugierig-zustimmend der Mann reagiert. Wenig Leidenschaft im übrigen. Zum Kuß finden sich die beiden moderat, eher vorsichtig denn von Sehnsucht überwältigt.
Wenn am Ende die irre Penthesilea den in rachsüchtiger ideologischer Verblendung hingeschlachteten Geliebten als schönen nackten Toten hereinführt, verfällt der Arrangeur in Stillosigkeit. Die äußerliche Plattitüde ist ihm wichtiger als deutlich vorzuführen, wie drastisch sich die Königin - trotz ihres Wahnsinns der Erkenntnis fähig - von der Oberpriesterin (Margit Bendokat) abkehrt. Wer will, kann dennoch erkennen, daß Kleist die verheerende Wirkung bornierter Konvention zu geißeln suchte.